Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos
Werner Schwab
v.l.n.r.: Caroline Betz, Stephan Gerster, Patrick Gabriel, Marc-Andree Bartelt, Benjamin Bronisch, Christiane Hedtkamp
Regie ......................... Bernd Seidel
Frau Wurm ............... Caroline Betz
Frau Kovacic ............. Christiane Hedtkamp
Desiree / Bianca ....... Stephan Gerster
Frau Grollfeuer ......... Marc-Andree Bartelt
Herr Kovacic ............. Benjamin Bronisch
Hermann Wurm ...... Patrick Gabriel
Musik.........................Laetitia Schwende
In der kleinen Wohnküche der Frau Wurm arbeitet ihr verkrüppelter Sohn Herrmann, der hofft, ein großer "Grazkünstler" zu werden, an seinen Bildern. Dabei eskaliert ein gehässiger Streit mit
seiner Mutter, die ihn am liebsten "abmurksen" möchte. Hermann wiederum, der schon als Kleinkind sexuell missbraucht wurde, schwelgt in sadistischen Vergewaltigungs- und Ermordungsfantasien. Nur
das Erscheinen der anderen Hausbewohner kann verhindern, dass er seiner Mutter einen Korkenzieher in den Kopf stößt. In der Wohnung der Familie Kovacic geht es ebenso alptraumhaft brutal zu. Herr
Kovacic zerquetscht den Goldhamster, zieht lüstern eine seiner Töchter auf seinen Schoß und pinkelt sich vor lauter Erregung selbst an. Frau Grollfeuer hat die Familien Wurm und Kovacic zu ihrer
Geburtstagsfeier eingeladen. Dabei eskalieren die Verachtung und der Hass der Hausbewohner aufeinander in ein mörderisches "Jeder gegen jeden". Das grausige Treiben findet erst ein Ende, als alle
an dem vergifteten Kuchen zugrunde gehen, den ihnen Frau Grollfeuer vorgesetzt hat. Die vollzogene "Volksvernichtung" ist die Konsequenz aus Frau Grollfeuers Erkenntnis, dass ihr Versuch, sich
"in ein Verständnis hineinzutrinken", gescheitert ist: "Meine Leber war umsonst. Meine Leber ist sinnlos." Im letzten Akt sind alle wieder lebendig und sitzen einträchtig bei Frau Grollfeuers
Geburtstagsfeier beieinander und singen Happy Birthday.
Schwabs Figuren sind Produkte ihrer Sprache, emotional und geistig verwirrt wie die wildwuchernden Satzgebilde, die sie permanent von sich geben.
Harenberg Schauspielführer
Vorstellungen:
23.10.2021 Premiere
Wolf-Ferrari-Haus, Ottobrunn / München
Beginn: 19:30 Uhr
Karten unter: 089 60808 302 oder unter www.reservix.de
27.10.2021 theater ... und so fort, München
28.10.2021 theater ... und so fort, München
29.10.2021 theater ... und so fort, München
30.10.2021 theater ... und so fort, München
03.11.2021 theater ... und so fort, München
04.11.2021 theater ... und so fort, München
05.11.2021 theater ... und so fort, München
06.11.2021 theater ... und so fort, München
Beginn: jeweils 20.00 Uhr
Karten nur online buchbar unter https://www.undsofort.de/spielplan/2021/10
Von Udo Watter, Süddeutsche Zeitung
Wer den Alkohol jenseits gesellschaftlicher Rituale wie Pausensekt oder Feierabendbier in seiner metaphysisch-exzessiven Variante betrachtet, wird auf mächtige Ambivalenzen stoßen: Die einen
sehen in ihm ein Existenzverhütungsmittel, die anderen einen Intensitätssteigerer, der uns von unnötigen Hemmungen befreit. Die einen ein berauschendes Hilfsmittel, das Ängste löst und die
Welt erträglicher macht, die anderen ein Teufelszeug, das uns zivilisatorischer Hemmungen entkleidet und zu dummen, tierischen Handlungen animiert. "Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen
durch Alkoholmangel", hat Charles Bukowski seine Sicht der Dinge auf den Punkt gebracht.
Der österreichische Schriftsteller Werner Schwab, 1958 in Graz geboren, war ein (Bukowski ebenbürtiger) Trinker vor dem Herrn. Der Mann, der die deutschsprachige Theaterszene in den
Neunzigern als "Genie" und "Monster" aufwirbelte, starb zum Jahreswechsel 1993/94 an einer durch eine Alkoholvergiftung hervorgerufenen Atemlähmung, er soll 4,1 Promille Alkohol im Blut
gehabt haben.
Schwabs Durchbruchsstück "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" wird am Samstag, 23. Oktober, im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus in der Inszenierung von Regisseur Bernd Seidel Premiere
haben. Den Theatermacher hat dieses als "Radikalkomödie" firmierende Werk - uraufgeführt 1991 an den Münchner Kammerspielen - in vielerlei Hinsicht gereizt. "Etwas Komödiantisches, das aber
auch Tiefgang hat", habe er gesucht. Ein aufwühlendes, tragikomisches, brutales, allzu menschliches Stück, dem er seine eigene Handschrift - vom Bewegungstheater über poetische, fantasievolle
Szenen jenseits von plattem Naturalismus sowie Elemente des Volkstheaters - zu verleihen beabsichtigte. Dazu kommt die eindrückliche Sprache des Autors: derb, unmittelbar, eigenwillig,
obszön, brutal-poetisch. Sie ist inklusive ihrer Kombination aus Neuwortschöpfungen und Vulgarismen als "Schwabisch" in die Theatergeschichte eingegangen. Für Seidel ist es wichtig, dass die
"Sprache natürlich rüberkommt" und nicht zum provokativ-ordinären Selbstzweck degradiert wird. Im Idealfall fällt es dann gar nicht mehr auf, wenn das Wort "Ficken" oder andere vulgäre
Ausdrücke ständig benutzt werden.
Die Handlung, die auch autobiografische Züge trägt, spielt in einem Grazer Mietshaus und liefert das "Unsittenbild eines Mittelstandes", in dem den Menschen alle Freiheiten, ihr Leben zu
verwirklichen, gegeben werden, sie sie aber nicht nutzen können. "Die Figuren scheitern an ihrer Dummheit, Borniertheit und Engstirnigkeit." Es ist natürlich das Gegenteil eines
Feel-Good-Stücks, aber trotz des grotesk-bösen Charakters bietet die Radikalkomödie in Seidels Inszenierung wohl auch zahlreiche anrührende und lustige Momente. "Die Figuren sind witzig und
frech", so der Regisseur, "aber sie sind auch alle gebrochene Persönlichkeiten, die Sehnsucht nach Liebe und Befreiung haben".
Die individuellen Träume auszuleben, gelingt keinem der Hausgemeinschaft - die Flucht in den Alkohol, in andere Drogen, in Gewalt oder Apathie sind die Folge. "Natürlich knallen sich die die
Birne zu." Trunksucht, Kleinkariertheit, psychische wie physische Verkrüppelung, Spießigkeit, intellektuelle Arroganz - eine unschöne Gemengelage bestimmt das Fluidum des Hauses. Aber Seidel
betont, dass die Inszenierung "erfrischend und spannend" gestaltet sei. Also offenbar keine Gefahr, komplett deprimiert nach Hause zu gehen. Wichtig sei es, so Seidel, dass die Figuren nicht
karikaturhaft rüber kämen. "Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, manche Dinge zu straffen und Abstraktionsmöglichkeiten zu nutzen." Letztlich münde alles in ein verrücktes Fest.
Geprobt hat Seidel, der künstlerischer Berater des Wolf-Ferrari-Hauses ist, in Südspanien, wo er seit etlichen Jahren nahe Málaga lebt. Zur insgesamt sechsköpfigen Darstellerriege gehören
wieder Patrick Gabriel, den das Publikum in Ottobrunn schon lange kennt, sowie Caroline Betz und Marc-Andree Bartelt,
die vor zwei Jahren in der von der Presse gelobten Seidel-Inszenierung "Der große Fall der Lady Macbeth und Macbeth" mitwirkten.
Seidel, bald 68 Jahre alt und Alt-68er, ist ein Regisseur, der auch als Künstler mit Faible für Fantasie und Schönheit stets das Politische und Gesellschaftliche mitdenkt. Auf welche Weise
ein Stück wie Schwabs "Volksvernichtung" funktioniert, das quasi lauter kaputte und teil-kaputte Menschen zeigt, die letztlich alle symbolisch nach Liebe schreien, dürfte besonders
interessant sein. Gefälliges Mainstream-Theater wird es nicht werden, das Lachen wird manchem Zuschauer wohl häufiger im Halse stecken bleiben - man kann es ja dann eventuell mit einem
Pausensekt oder Premiere-Bierchen hinunter schlucken.
Die Vorstellung am Samstag, 23. Oktober, beginnt um 19.30 Uhr. Karten gibt es unter https://wfh-ottobrunn.de/programm/ respektive Reservix oder an der Theaterkasse im Wolf-Ferrari-Haus (Telefon: 089/60 80 83 01). Von Mittwoch, 27. Oktober, an gibt
das Ensemble mehrere Vorstellungen von "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" im Münchner "Theater...und so fort", weitere Informationen unter https://www.undsofort.de/spielplan.
Vor der Premiere von „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ in Ottobrunn
Fr. Dr. Rudolf
Theater, das nicht den Mainstream bedient
In Ottobrunn startet die Kultur-Saison traditionell mit einer Eigenproduktion des Regisseurs Bernd Seidel. Gemeinsam mit seinem Ensemble inszeniert der in Spanien lebende Künstler dort ein Stück
des Österreichers Werner Schwab. Wenige Tage vor der Premiere fliegen Regisseur und Schauspieler dann von Spanien nach Deutschland.
Das Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ des österreichischen Dramatikers Werner Schwab wurde 1991 in München uraufgeführt. Die Radikalkomödie gehört nicht zu den Stücken, die in
jedem Theater in einer Saison auf dem Spielplan stehen. Aber genau das macht für den Regisseur Bernd Seidel den Reiz aus. Seit mehr als 30 Jahren ist er für die Kultur im Wolf-Ferrari-Haus in
Ottobrunn verantwortlich. Und wie immer hat Seidel den Anspruch, „nicht den Mainstream zu bedienen“ oder „Theater von der Stange“ zu machen. Seit Jahrzehnten bemüht sich der 1953 geborene
Theaterregisseur, seinem Publikum ein Theater zu bieten, das auch mal nicht einer Erwartungshaltung entspricht.
Das aktuelle Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ liefert ein Unsittenbild eines Mittelstandes, in dem den Menschen alle Freiheiten, ihr Leben zu verwirklichen, gegeben werden,
sie diese aber nicht nutzen können. Die überzogenen Figuren scheitern an ihrer Dummheit, Borniertheit und Engstirnigkeit.
„Es ist eine witzige, freche Inszenierung“, so Seidel, der von Andalusien aus das Gespräch führt. Seit Jahren wohnt Seidel mit seinem Mann, dem Schauspieler Patrick Gabriel, in Spanien. Dort, in
ihrem Haus, proben sie derzeit die neue Inszenierung mit dem Ensemble. „Es macht uns viel Spaß, eine lustige, aber auch makabre und ebenso spannende Inszenierung zu entwickeln, die gut
anzuschauen ist“, so der Regisseur. In Andalusien arbeiten sie an dem Stück bis vier Tage vor der Premiere. „Gemeinsam fliegen wir dann nach Deutschland, die Haupt- und Generalproben finden dann
schon auf der großen Bühne im Wolf-Ferrari-Haus statt.“
Die Kostüme tragen die Schauspieler bereits auf der Probebühne in Andalusien, bei Requisiten und Bühnenbild wird noch improvisiert. Erst in Ottobrunn dann wird alles — dank der guten
Zusammenarbeit mit dem Ottobrunner Team —die endgültige Gestalt annehmen. Doch typisch ist für Seidels Stil ohnehin, dass er nicht naturalistisch inszeniert, also ein realistisches Bühnenbild
benötigt. „Ich bin ein Freund der Abstraktion“, betont er, und so immer auf der Suche nach Stücken, die zu seinem Stil passen. Das Werner-Schwab-Stück sei ideal, denn es habe eine
Allgemeingültigkeit. „Die Sprache der Figuren ist zwar gewöhnungsbedürftig, das Stück durchaus sarkastisch, aber nach so etwas suche ich immer.“
Seidel hat sich in seiner Karriere bewusst gegen eine Intendanz an einem Stadt-theater entschieden, um als Theaterregisseur auch mal „anders arbeiten“ zu können und sich Flexibilität zu bewahren.
„Ich wollte nicht an eine Institution gebunden sein“, betont er. Die Verantwortung für das kulturelle Programm am Wolf-Ferrari-Haus zu tragen, das von Horst Frank geleitet wird, bereite ihm indes
seit Jahrzehnten große Freude. „Ich muss für die gelungene Zusammenarbeit ein großes Lob aussprechen“, so Seidel.
Der Theatermacher ist auch mal darauf gefasst, Kritik einzustecken. Oder dass eben über ein Stück, einen Kulturabend oder eine Inszenierung diskutiert werde. Doch genau das ist für Bernd Seidel
Theater. „Ich habe in all den Jahren nie aufgegeben. Theater darf auch experimentell oder alternativ sein“, stellt der Theaterregisseur klar. Und er sieht es ebenso als seine Aufgabe an, dem
Publikum etwas zu präsentieren, das es bisher so nicht kannte.
Vor der Corona-Pandemie hatte Seidel nach seiner erfolgreichen „Macbeth“-Inszenierung ein Stück mit einem schweren Stoff vorgesehen. Aids und Vergewaltigung wären die Themen gewesen, um die es in
der geplanten Inszenierung gegangen wäre. „Doch das haben wir jetzt abgeblasen“, so Seidel.
Nun also ist es das Werner-Schwab-Stück, mit dem Seidel und sein Ensemble nach der langen Corona-Pause wieder auf die Bühne zurückkehren. „Künstlerisch haben wir natürlich gehungert“, sagt der
Theatermann über die vergangenen Monate. Doch so bitter es für ihn, seinen Mann und andere Kollegen war, er habe es natürlich immer eingesehen, dass mit Corona ein Theaterbetrieb nicht möglich
war.
Nun allerdings schwingt beim Kultur-Neustart auch ein wenig die Hoffnung mit, dass es in der Kulturszene Raum für Veränderungen geben könnte. Seidels Wunsch wäre es, noch enger mit den Kollegen
aus den Nachbargemeinden zusammenzuarbeiten. „In der Krise sollte man doch zusammenrücken“, so sagt er. „Das wäre doch viel besser, als wenn jeder nur für sich kleine Brötchen backt.“ Ebenso wäre
es ihm ein Anliegen, Theater noch mehr in Kindergärten und Schulen zu bringen. „Wir werden sehen, wie es für die Kultur weitergeht.“ Eine Krise mache ja auch Aussicht auf einen Neuanfang unter
veränderten Bedingungen. Doch dazu müsse es auch ein Publikum geben, das neugierig sei. Und wer Kultur wolle, so Seidel, der müsse auch hingehen, wenn es Kultur gebe.
Premiere für das Stück „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“ ist am Samstag, 23. Oktober, um 19.30 Uhr im Wolf-Ferrari-Haus am Rathausplatz 2 in Ottobrunn. Karten gibt es unter Telefon
60 808 302 sowie im Internet unter www.reservix.de. Die Inszenierung ist danach im Münchner „theater...und so fort“ zu sehen.
https://www.tz.de/muenchen/region/hallo-muenchen/volksvernichtung-oder-meine-leber-ist-sinnlos-in-ottobrunn-91051480.html